Sie schieben das gestrandete Schiff zurück in die Elbe
Die Bergung ist ein Volksfest. Hunderte Schaulustige verfolgen, wie das THW Kapitän Rosik hilft.

Von Elisabeth Jessen

Schnackenburg - Der improvisierte Verkaufsstand von Hanna Krumrey (44) und Heike Zacharias (46) auf dem Schnackenburger Deich ist pausenlos dicht umlagert. Die Frauen aus der Kleinstadt im Landkreis Lüchow-Dannenberg verkaufen Glühwein, Blechkuchen, Schmalzbrote und heiße Getränke. Er herrscht Volksfestatmosphäre. Die Stadt ist zugeparkt von den Autos der Schaulustigen.

Hunderte sind gekommen, um dem ungewöhnlichen Spektakel im Deichvorland beizuwohnen. Wlodzimierz Rosiks (57) Binnenschiff soll nach zehn Monaten auf dem Trockenen endlich geborgen werden. Der polnische Kapitän hatte am 21. März 2003 mit seinem Binnenfrachter "BM 5247" die Hafeneinfahrt verfehlt und war auf der Elbwiese aufgelaufen. Nun ist die Lage günstig: Nach monatelangem Niedrigwasser führt der Fluss wieder reichlich Wasser. Doch die Zeit drängt - der Pegel sinkt schon wieder.

"Wir schaffen das", sagt Hans-Hermann Mietz (52), Bergungsspezialist beim Technischen Hilfswerk (THW) in Salzwedel (Sachsen-Anhalt), als am Sonnabend früh um acht Uhr die "Operation Heimfahrt" beginnt. Gut 50 Freiwillige des THW sind in Schnackenburg mit schwerem Gerät angerückt. Mietz hat das Bergungskonzept für das 180-Tonnen-Schiff ausgearbeitet. "Wir haben schon Dinger rausgeholt, die ähnlich schwer waren", sagt er selbstbewusst.

Um die 35 000 Euro wird die Bergungsaktion kosten. Etwa 10 000 Euro Spenden sind zusammengekommen, 20 000 Euro habe die Versicherung des Reeders zugesagt, sagt Mietz.

Die meisten THW-Helfer opfern ihr freies Wochenende für den Einsatz, übernachtet wird im Gemeinschaftshaus gleich hinter dem Deich. Frank Müller (35), Chef der THW-Versorgungstruppe, hält die Moral hoch. Er rührt zu Mittag aus 24 Kilo Schweinefleisch, sieben Kilo Zwiebeln und einem halben Kilo Gewürze ein leckeres Gulasch zusammen, brät abends Schnitzel und Bratkartoffeln. Das Essen ist wichtig bei diesem Einsatz - drei Grad unter null.

Die Minusgrade lassen Kapitän Rosik leicht frösteln. Sein grüner Overall ist ein wenig zu dünn. Dass nun endlich Bewegung in seine ganz und gar verfahrene Situation kommt, gibt ihm Hoffnung: "Es war ein bisschen einsam. Ich konnte bloß warten", sagt er über die zurückliegenden Monate. Die Zeit vertrieb er sich mit Lesen. Wurde die Einsamkeit zu groß, ging er zu den Fährleuten, um zu reden. Viele Schnackenburger brachten ihm kleine Geschenke, mal eine Mettwurst, mal Schokolade oder Gemüse.

"Wir haben Wlodi viel zu verdanken", sagt Schnackenburgs Bürgermeister Andreas Koch (48). Der gestrandete Schiffer hat der 750-Einwohner-Stadt in den vergangenen Monaten einen Besucherboom beschert. "Wir waren schon öfter hier", sagt Monika Beier, die mit ihrem Lebensgefährten aus der Nähe von Ahrendsee (Sachsen-Anhalt) gekommen ist. Der Bergungsaktion wollen sie sich nicht entgehen lassen. "Wir wünschen ihm so, dass er bald wieder nach Hause kann", sagt die 53-Jährige und wärmt sich die Hände am Kaffeebecher.

Doch bevor das Binnenschiff auf einer improvisierten Slip-Anlage zurück in die Elbe gleitet, werden Experten der Schiffsuntersuchungskommission (Schiffs-TÜV) prüfen, ob der Havarist fahrtüchtig ist. Und selbst wenn alles glatt geht, kann Wlodzimierz Rosik derzeit nicht zurück nach Polen tuckern. "Die Kanäle sind alle zugefroren", sagt er und zuckt die Schultern. Auf ein paar Tage mehr fern der Heimat kommt es auch nicht mehr an.

Mit leeren Händen wird Rosik Schnackenburg nicht verlassen: Die Frauen oben am Deich verkaufen den Kuchen und den Kaffee zu seinen Gunsten. Als der gestrandete Schiffer das erfährt, huscht ein ungläubiges Lächeln über sein Gesicht.

erschienen am 26. Jan 2004 in Norddeutschland vom Hamburger Abendblatt